Freitag, 24. Mai 2013

80 Jahre nach der Erstürmung der Gewerkschaftshäuser - 1. Mai nazifrei! [Vortragstext plus Veranstaltungshinweis]

Frankfurter Römer, Anfang Mai 1933
„Oh wie grausam gründlich,
im Blute watend,
korrigierte der Faschismus
die Schwächen,
Halbheiten,
Fehler
der Arbeiterbewegung.“

Willi Bleicher


Am 22. April 2013 hielten Peter Scherer, Judit Pákh und Janine Wißler (Mitglied des hessischen Landtags, Partei DIE LINKE.) ab 19:00 Uhr im Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main bedeutsame Vorträge unter der Gesamtüberschrift »80 Jahre nach der Erstürmung der Gewerkschaftshäuser - 1. Mai nazifrei!«. Auf der Webseite¹ des Kreisverbandes Frankfurt am Main der Partei DIE LINKE. (der Webseite des Veranstalters) finden Sie weitergehende Informationen¹.

Der Parteiwebseite¹ habe ich den Vortragswortlaut des Vortrages »Das Ende der Gewerkschaften im Frühjahr 1933« (Peter Scherer) entnommen, den ich Ihnen hier nach einem Veranstaltungshinweis präsentieren darf - Sie haben nochmals die Gelegenheit, die Historiker Peter Scherer und Judith Pákh zum gleichen Thema zu hören und mit ihnen zu diskutieren:

Nachdem die Gewerkschaften kapituliert hatten:
April 1933 - der vergessene Monat
 
Eine Veranstaltung zur Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Faschisten vor 80 Jahren.

Veranstaltungsdaten
Datum und Zeit: Montag, 27. Mai 2013, 19:00 Uhr
Ort: Frankfurt am Main, Burgstr. 106, 5. Stock (Aufzug, Kubi Verein für Bildung und Kultur e. V.).
Eine gemeinsame Veranstaltung der Stadtteilgruppen Bornheim/Ostend und Nordend des Kreisverbandes Frankfurt am Main der Partei DIE LINKE. Die Veranstaltung ist kostenfrei.


Hier der Vortragstext:

 Das Ende der Gewerkschaften im Frühjahr 1933

Liebe Freunde, verehrte Gäste,

die blutige Zerschlagung von Arbeiterorganisationen, Verbot und Verhaftung, Schikane und Mord sind leider in fast jedem Jahrzehnt zu finden, wenn wir die Geschichte weltweit betrachten. Wohl einmalig aber ist der Vorgang, dass nach Millionen Mitgliedern zählende Gewerkschaften unter der Fahne ihrer grimmigsten Gegner mit Blasmusik am Montag durch die Straßen geführt und am Dienstag politisch ausgelöscht werden.

Der Sozialdemokrat Julius Leber befand sich damals schon in Untersuchungshaft in Lübeck. "Welch eine Heuchelei!", schrieb er in sein Tagebuch, als er am 30. April davon erfuhr, dass die Nazis den 1. Mai zum Nationalfeiertag erklärt hatten. Er durchschaute den Zwangscharakter des Aufmarsches. Am 4. Mai schrieb er bitter und in seltsamer Doppeldeutigkeit:

"Nun haben sie die Gewerkschaften auch hinübergeholt. Wie viele Tausend ... mit den Zähnen geknirscht haben? Aber die Bürokratisierung hat die Gewerkschaften seit Jahren völlig arbeitsunfähig gemacht und leider Gottes teilweise auch die Partei."

So groß war seine Erbitterung über die Kollegen und Genossen, dass er den heimtückischen Akt der Nazis als eine Art Gottesurteil deutete: Die Geschichte spreche "unerbittliche Urteile".

Welcher Sünden hatte sich die Gewerkschaftsbewegung schuldig gemacht? Was konnte einen Sozialisten, der später seinen Mut im Widerstand gegen Hitler bewiesen hat, dazu bringen, die Nazis als Werkzeug der Geschichte anzusehen, deren Urteil gegen die Gewerkschaften sie vollstreckten?

Bürokratisierung ist ein beliebter, aber wenig präziser Vorwurf. Eine wirklich funktionstüchtige Bürokratie kann eine sehr wirkungsvolle politische Waffe sein, und es ist nicht einzusehen, weshalb gerade die Massenorganisationen der Arbeiterbewegung auf die Stufe der Improvisation festgebannt bleiben sollen.

Von der politischen Polizei bis zu den Konzernzentralen standen der Arbeiterbewegung immer hoch organisierte, hoch effiziente und eben "bürokratisch" durchorganisierte Körperschaften gegenüber. Der relativ junge und zahlenmäßig bescheidene hauptamtliche Apparat konnte trotz all seiner Schwächen und Eitelkeiten nicht der Grund für die Katastrophe von 1933 gewesen sein.

Die politisch motivierte Enttäuschung über die Gewerkschaften hat immer wieder ähnliche Bilder gebraucht. Heute, im Abstand von acht Jahrzehnten, können wir eine Feststellung treffen, die manchen Kritiker der frühen 30er Jahre sicher überrascht hätte: Die Gewerkschaften sind, trotz aller politischen Katastrophen der Arbeiterbewegung und durch deren Trümmer hindurch, die einzigen Organisationen geblieben, die heute noch fähig sind, massenhaften Arbeiterprotest, wirksamen Widerstand zu organisieren. Die Arbeiterparteien sind entweder in einem langsamen Zerfallsprozess ihren Ursprüngen entfremdet worden, oder sie sind, je höher ihre Macht gestiegen ist, umso tiefer gefallen.

Spätestens seit den Erfahrungen der späten 80er und frühen 90er Jahre des letzten Jahrhunderts haben Gewerkschafter keinen Grund mehr, sich als das minder tüchtige Fußvolk der Arbeiterbewegung ansehen zu lassen, als Mittel zu höheren Zielen, die sich ihrer beschränkten Logik entziehen.

Eine solche Instrumentalisierung ist keineswegs eine Erfindung der Kommunisten, wie das Schlagwort vom “Transmissionsriemen" nahe legt. Die Sozialdemokratie hat sich unter dem Schock der russischen Revolution 1905/06 nicht anders verhalten. Oder war es kein Missbrauch der Gewerkschaften, ihnen die Gleichberechtigung mit der Partei anzubieten mit dem einzigen Ziel, die Befürworter des politischen Massenstreiks ins Abseits zu manövrieren?

"Gleichberechtigung" hat es danach nie gegeben, aber die Parteirechte konnte die Gewerkschaften als ihr strategisches Hinterland gebrauchen.

Die Sozialdemokratie hat ihre Entscheidungen selbst getroffen, von der Ablehnung des Massenstreiks 1906 über die Kriegskredite 1914 und das Ebert-Groener-Abkommen 1918 bis zur Tolerierung der Brüning-Politik seit 1930. Diese Entscheidungen waren Hintergrund für die Katastrophe der Gewerkschaften 1933, aber es waren keine gewerkschaftlichen Entscheidungen. Die Gewerkschaften sind 1933 zu einem beträchtlichen Teil von den Folgen einer Politik überrollt worden, auf die sie nur bedingt Einfluss hatten. Sie lebten an der Jahreswende 1932/33 mit den krassen Fehleinschätzungen der Arbeiterparteien, wie sie heute mit deren Schwäche leben müssen.

Was die letzten Tage ihrer Existenz vor dem 2. Mai 1933 interessant macht, ist der Versuch, Gewerkschaften außerhalb der historischen Arbeiterbewegung zu definieren. Mit welchen Begriffen, mit welchen Argumentationsfiguren wurde das absurde Unterfangen eingeleitet? Denn absurd war und bleibt es, den gewerkschaftlichen Kampf aus dem Ganzen der Arbeiterbewegung lösen zu wollen.

Im Folgenden werden vor allem Dokumente herangezogen, die in der Zeit zwischen dem 21. April und dem 2. Mai abgefasst wurden, in jenen Tagen also, da den Gewerkschaften das Urteil mit allen Einzelheiten schon gesprochen war, ohne dass sie es ahnten, sie folglich in dem Glauben lebten, eine wie immer geartete Zukunft vor sich zu haben.

Es sind vor allem zwei Fixpunkte, an denen sich die Illusion gewerkschaftlicher Bewegungsfreiheit festmacht: Die Emanzipation von jedweder "Gesinnung" und die rückhaltlose Bereitschaft, sich dem "Neuen" anzuschließen, auch wenn es eine vollständige Leugnung historischer Erfahrung und sozialer Logik abverlangt. Man könnte dies alles unter die Verrenkungen rechnen, die dem nackten Selbsterhaltungstrieb entsprangen. Aber es waren keine beliebigen Gesten der Unterwerfung, denn sonst wären wir nicht auch in unseren Tagen mit denselben Argumenten des Ideologieverzichts und der "Modernisierung" konfrontiert, mit derselben Ausblendung und Verfälschung aller geschichtlichen Erfahrung.
Nicht dass es 1933 an historischen Phrasen gefehlt hätte! Franz-Josef Furtwängler, seit 1923 Sekretär beim Bundesvorstand des ADGB und seit 1932 Mitarbeiter der Reichskommission für Arbeitsbeschaffung, überschreibt seine Betrachtungen über das Ende der "Gesinnungsparteien" mit der Schlagzeile: "Reichseinheit nach dreihundert Jahren". Die Entmachtung der Länder wird unter dem Begriff der Einheit interpretiert: "Das Reich ist zum Einheitsstaat erhoben." Die "Länderbarrieren" seien nun zertrümmert, die "Zerklüftung" des Volkes aufgehoben. Mit den Grenzen sei auch die "Fraktionsidee" hinfällig geworden. Konfessionelle "Gesinnungsparteien" hätten seit dem Dreißigjährigen Krieg Deutschland ruiniert. Nun sei das Ende aller gesinnungsmäßigen "Scheidewände" gekommen.
Den politischen Umbruch nimmt der Autor schon mit historischer Distanz zur Kenntnis:

"Die bolschewistische 'Gesinnungspartei' war bereits als staatsfeindlich und auslandshörig unterdrückt, den liberal-parlamentarischen Gruppen, besonders der SPD, durch Presseverbote und andere Maßnahmen der Lebensnerv gedrosselt und der Zusammenhang zwischen der letzteren und den beruflichen Arbeiterverbänden schon praktisch hinfällig gemacht. Das alles bedeutet eine Lahmlegung des herkömmlichen Fraktionswesens von ungeahnter Gründlichkeit mit dem Ziel der Herstellung der Volkseinheit auf der Ebene einer neuen Ordnung".

Furtwängler baut geradezu eine Hierarchie verschiedener Arten von "Einheit" auf: die territoriale, die politische und, als Forderung für die Zukunft, die "moralische". An dieser "moralischen Einheit" Hand in Hand mit den Nazis zu arbeiten, bieten sich die Gewerkschaften an - "unbekümmert um Ideologien".

Ein auch heute nicht ganz unbekanntes Element des Modernisierungsrausches ist die "Entdeckung", dass man sich mit gutem Gewissen, ja "revolutionärem" Hochgefühl von der Arbeiterbewegung loslösen könne, weil diese ganz von der "Klassenordnung des bürgerlichen Staates" geprägt sei:

"So ist er (der Industriearbeiter) und seine Geisteswelt belastet mit den Traditionen des absinkenden bürgerlichen Systems, wenn sie auch bei ihm ein negatives Vorzeichen tragen."

So neu ist der Gedanke also nicht, dass beim Anbruch des radikal Neuen, der "Moderne" und "Postmoderne" bedenkenlos alle Traditionen der Arbeiterbewegung über Bord geworfen werden können.

Auch das "Ende der Arbeiterklasse" gehört schon 1933 in dieses Muster. Die soziale Frage, so argumentiert Furtwängler, habe aufgehört, eine solche der industriellen Lohnarbeiter zu sein. Jenseits der Arbeiterklasse habe sich als "Stand wahrer Hoffnungslosigkeit" das Millionenheer der Arbeitslosen gebildet.

"Die Nation selbst wurde zur 'Proletarierklasse'". Ihre "Daseinsgrundlagen" seien nun gemeinsam umzugestalten.

Walther Pahl, Sekretär beim ADGB-Bundesvorstand und seit 1932 Leiter der "Zentralstelle für den Freiwilligen Arbeitsdienst" des ADGB beschäftigt sich in der "Gewerkschafts-Zeitung" vom 29. April unter der Überschrift "Der Feiertag der Arbeit und die sozialistische Arbeiterschaft" vor allem mit dem Verhältnis von faschistischem Nationalismus und sozialistischem Internationalismus.

In den wenigen Tagen, die seiner Spitzfindigkeit noch vergönnt waren, wird er wohl niemanden mehr davon überzeugt haben, dass der 1. Mai 1933 aus der Sicht der sozialistischen Arbeiterbewegung ein "Tag des Sieges" sei. Man sei weder umgefallen, noch sei man verführt worden, nichts anderes als die Gleichsetzung von proletarischem und nationalem Interesse habe auch die sozialistische Bewegung gewollt.

Interessant ist, wie Pahl den Internationalismus "aufarbeitet". Zunächst stellt er fest, dass es nur eine "kleine Gruppe internationaler Utopisten" gegeben habe, deren Ideologie glücklicherweise die "schlichte nationale Wirklichkeit der Arbeiterbewegung" nicht entscheidend beeinflussen konnte. Mit dem Internationalismus des Kapitals habe man sich ohnedies nie vergleichen können.
Pahl ergreift hier dankbar die helfende Hand, die Ernst Jünger schon 1932 allen entgegengestreckt hatte, die sich aus dem Dunstkreis der "Internationale" zu entfernen suchten. Er erinnerte in seinem Buch "Der Arbeiter: Herrschaft und Gestalt" daran, wie "sehr einheitlich" und "ganz undogmatisch" sich die Massen bei Ausbruch des Weltkrieges verhalten hätten. Als Ausnahmefall sei der August 1914 keineswegs anzusehen. Er werde sich jederzeit wiederholen "wenn die öffentliche Meinung in einen entsprechenden Zustand versetzt worden ist". Weit internationaler als jene Massen, auf die der Sozialismus angewiesen ist, seien die Dynastien, der hohe Adel, der Klerus "oder auch das Kapital".

Doch so "schlicht" wie bisher sollten weder die nationale noch die internationale "Wirklichkeit der Arbeiterbewegung" bleiben. Die außenpolitischen Stichworte des ADGB heißen "Friedenssicherung" und "Europa":

"Die deutsche Neuordnung ist ohne eine europäische Neuordnung undenkbar, die keine unverbindliche, 'paneuropäische' Summierung der Staaten darstellen und auch keine imperialistische Vormachtstellung ... zulassen darf. (Der Friedensvertrag von) Versailles kann nur durch die Schaffung eines europäischen Bundes ... zertrümmert werden."

Nur starke Nationen seien in der Lage, den Frieden zu sichern. Ziel sei eine "konstruktive europäische Kooperation". Die Zerstörung des "international-pazifistischen Defaitismus" schaffe freie Bahn für diese neue Art der "Zusammenarbeit".

Man steht immer wieder beschämt vor den intellektuellen Pirouetten dieser Tage, beschämt auch deshalb, weil wir nicht von uns aus sagen können, wir seien meilenweit von diesen Illusionen entfernt. Angeblicher Verzicht auf Ideologie, Offenheit für die Erfordernisse der Modernisierung, Loslösung aus überkommenen Traditionen, Relativierung der Geschichte, Absage an den Klassenkampf, Beschwörung der nationalen und sozialen Einheit, eine sog. "Friedenssicherung" durch Gewalt und internationale „Neuordnung“: Nichts, aber auch gar nichts aus dem Musterkoffer unserer Modernisten fehlt 1933 im Kontext der großen Unterwerfung.

Man könnte über den fein gedrechselten Artikeln der "Gewerkschafts-Zeitung" fast vergessen, dass seit dem Reichtagsbrand am 27. Februar 1933 ein beispielloser Terror Deutschland überrollte, dass am 1. April die Boykottaktion gegen die Juden stattgefunden hatte, dass über 40 Gewerkschaftshäuser bereits besetzt waren, dass ein KZ nach dem anderen seine Tore weit öffnete. Man teilte die "Gründung" eines Konzentrationslagers damals noch offen in der Zeitung mit, und es gab noch Idealisten wie den Polizeioberleutnant Müller, der aus dem KZ Moringen am 28. April 1933 diensteifrig an das Regierungspräsidium meldete:

"Ich beabsichtige, am 1.Mai, dem Tag der nationalen Arbeit, einen Teil der Insassen (etwa 100) an der Kundgebung der Stadt Moringen unter Bewachung teilnehmen zu lassen." 90 Prozent der Häftlinge hätten sich zur Teilnahme gemeldet.

Was wir aus den gewerkschaftlichen Argumenten des April 1933 in der politischen Sprache unserer Gegenwart nicht mehr finden, ist die Forderung nach der Verwirklichung des Sozialismus auf deutschem Boden:

- Überführung der Großbetriebe in Gemeineigentum,
- Nationalisierung der Banken mit dem Ziel einer planmäßigen Kreditpolitik,
- Nationalisierung der Energiewirtschaft und der Rohstoffversorgung,
- Schaffung eines Außenhandelsmonopols,
- Übergang zu einer nationalen Planwirtschaft mit dem Staat als bestimmendem Arbeitgeber.

Das war der unbescheidene Forderungskatalog des ADGB am Vorabend des Maifeiertags 1933. Das waren immerhin Umrisse einer Antwort auf die kapitalistische Krise.

Die Groteske bestand darin, dass Teile des ADGB sich selbst und anderen vorzumachen gedachten, ausgerechnet Hitler werde dem bloßen Bekenntnis nun die "sozialistische Tat" folgen lassen.

Bisher habe die "unteilbare Herrschaft" als Voraussetzung der Sozialisierung gefehlt, so argumentiert Walther Pahl mit dem Pathos des "historischen Augenblicks":
"Diese Herrschaft ist heute da! Damit sind, geschichtlich gesehen, zum ersten Male, wirklich die Bedingungen für die erfolgreiche Inangriffnahme der Sozialisierung erfüllt. Damit ist aber zugleich der Nationalsozialismus mit einer geschichtlichen Verantwortung von ungeheurer Größe belastet: Er muss den Sozialismus verwirklichen, weil ihm zum ersten Male die Aufrichtung einer Herrschaft gelang, die ihn nicht nur verwirklichen will, sondern auch verwirklichen kann."

Die Mai-Nummer der "Gewerkschafts-Zeitung" enthält eine wohl lange hin- und her gewendete Anmerkung, die erkennen lässt, wie haltlos die Führung des ADGB in dieser Hochflut des Opportunismus geworden war:

"Es ist erklärlich, dass die Wendung der Dinge seit dem 5.März (der Reichstagswahl), dass namentlich aber die Erhebung der Maifeier zum Volksfeiertag durch den Entschluss der Reichsregierung in den Kreisen der Arbeiterbewegung, besonders der jüngeren Generation, Anlass zu Betrachtungen über die Stellung zu dem nationalsozialistischen Regime bietet. Einem Beitrag von Walther Pahl, der dem Bestreben entspringt, vom Sozialismus her eine Stellung zur nationalen Revolution zu finden, geben wir namentlich darum ... gerne eine Stätte, weil die Möglichkeit zu einer öffentlichen Aussprache zurzeit eng begrenzt ist."

Kein Zweifel, Pahl, Furtwängler und all jene, für die sie stellvertretend den Namen hergaben, hätten nur zu gerne einen Platz im Dritten Reich eingenommen. Aber den strammen Sprüchen der frischgebackenen National-Sozialisten ist am 2. Mai, 10 Uhr vormittags, ein Ende gesetzt worden.

Geschadet hat den beiden Vordenkern ihr Ausflug nach Rechtsaußen nicht. Sie überlebten das Hitlerreich und machten nach 1945 Karriere: Furtwängler als erster Leiter der "Akademie der Arbeit" und danach Mitglied der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, Pahl als Chefredakteur der "Gewerkschaftlichen Monatshefte".
War das alles in der Tat nur eine peinliche Episode, die man zu Recht übergehen kann?

Der große Unterschied zwischen 1933 und 2013 besteht darin, dass es vor 80 Jahren starke Arbeiterparteien und starke Gewerkschaften gab, die gemeinsam in eine an sich vermeidbare Katastrophe marschierten. Heute gibt es keine starken Arbeiterparteien mehr. Die Isolation, in der die Gewerkschaften am Vorabend des 1.Mai 1933, abgetrennt von ihren Ursprüngen und natürlichen Verbündeten standen, dauerte nur wenige Tage. Die Illusion, in der faschistischen Diktatur nun endlich den potenten Partner für den Aufbau eines nationalen Sozialismus auf deutschem Boden gefunden zu haben, d.h. für eine Art Ständestaat unter maßgeblicher Beteiligung der Gewerkschaften, hatte eine ebenso kurze Dauer.
Die politische Lage, in der sich die Gewerkschaften heute befinden, scheint von langer Dauer zu sein. Entsprechend groß ist die Versuchung, sich durch einen Salto mortale aus allen historischen Verwicklungen hinaus- und in eine schöne neue Welt der Modernisierung hineinzukatapultieren.

Gewerkschaften brauchen Erfolg hier und jetzt. Sie sind keine Glaubensgemeinschaften, die um ihrer selbst willen existieren und ihre Mitglieder auf weit entfernte Zeithorizonte vertrösten können. Sie sind der erfolgreiche Makler auf dem Markt der Arbeit oder sie sind nichts. Der Pakt mit dem Teufel ist ihnen gleich neben die Wiege gelegt.

Ihre Abneigung gegen jedwede soziale Projektmacherei, gegen Idealismen und Utopien ist in ihrer Funktion begründet. Aus ihr resultiert auch das Grundgefühl, mit den Trägern der Macht ins Geschäft kommen zu müssen und zu können, gleichgültig wie sich diese Macht legitimiert. Sie müssen am Ende einen Vertrag abschließen, und ihre Tragik ist, dass ihr Gegenüber nur auf eine Gelegenheit wartet, sich des lästigen Partners zu entledigen. Das Kapital braucht keine Gewerkschaften.

Gewerkschaften, die sich einer wie immer gearteten "Befriedungsarbeit" widmen, machen sich nicht erst langfristig, sondern schon auf mittlere Sicht überflüssig.
Die brüske Zurückweisung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 hat uns ein Kapitel Geschichte erspart, das auszudenken unsere Phantasie wohl nicht ausreicht.
Das ist die eigentliche Lehre aus der Katastrophe von 1933: Es kann für die Gewerkschaften keine "ständische" oder "kooperative" Gemeinschaft mit dem Kapital geben.

Ein Umstand wird uns auch künftig helfen: Die Gewerkschaften können sich immer nur kurze Zeit über ihre Funktion irren. Die Realität des Klassenkampfes, in dessen vorderster Linie sie stehen, belehrt sie unweigerlich eines Besseren.

Liebe Freunde,

ich will diese Rückschau auf eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte unserer Gewerkschaften nicht schließen, ohne der Kolleginnen und Kollegen zu gedenken,
die auch 1933 an ihrem Maifeiertag festhielten,
die nicht mitmarschierten (und sei es zähneknirschend), sondern hinausgingen in die Wälder,
die sich heimlich zusammenfanden wie in den Tagen des Sozialistengesetzes,
die sich Mut zusprachen und einander schworen, weiter zu kämpfen
gegen den Opportunismus in den eigenen Reihen,
gegen den heraufziehenden Krieg,
gegen die Ausbeutung in allen ihren Formen.

Tausende sind in diesem Kampf gefallen,
Zehntausende wurden eingekerkert,
Millionen gedemütigt.

Am Ende waren es nicht mehr viele, die durchhielten, aber diese Wenigen haben unsere Ehre gerettet.

Und wie sie sich am 2. Mai 1933 verweigert hatten, so stellten sie sich zwölf Jahre später der Aufgabe, eine neue Gewerkschaftsbewegung aufzubauen.

Ihr Werk gilt es fortzusetzen!

---

¹ http://www.linke-frankfurt.de/meldungen/80-jahre-nach-der-erstuermung-der-gewerkschaftshaeuser-1.-mai-nazifrei-erfolgreiche-veranstaltung

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