Montag, 16. Juni 2014

Pendant que la poussière retombe [Analyse zur EU-Wahl und Rechtsruck 2014 in Frankreich]

von Comité Allemagne - Europe centrale du Parti de Gauche 

Der Schock nach der Europawahl ist heftig, obwohl die französischen Ergebnisse gar keine Überraschung sind. Mit dem folgenden Text möchten wir die uns erscheinenden wichtigsten Elemente für eine Analyse der politischen Lage in Frankreich zusammenfassen.

Am Mittwoch, den 28. Mai 2014, schrieb Neues Deutschland:
"Zwar haben am Sonntag 4,7 Millionen Franzosen für FN gestimmt, aber bei der Präsidentschaftswahl 2012 hatte Marine Le Pen sogar 6,4 Millionen Stimmen eingefahren. Der hohe FN-Prozentsatz resultiert also aus einer niedrigeren Wahlbeteiligung."
Es ist richtig. Trotzdem würden wir die Ergebnisse der Europawahl nicht verharmlosen. Es handelt sich um eine jahrzehntelange politische Entwicklung des Rechtsextremismus in den europäischen Gesellschaften, die in Frankreich ein massives Ausmaß annimmt.

Europa ist mit den Auswirkungen der neuen Entwicklung des Kapitalismus besonders stark konfrontiert. Durch Globalisierung und Finanzialisierung übt die wirtschaftliche Elite mehr und mehr Druck auf die Mehrheit der Bevölkerung. Wettbewerb zwischen Nationen führt zu Abbau von Wohlfahrtstaat, soziale Leistungen und Solidarität Mechanismen. Ein zunehmender Anteil der europäischen Bevölkerung befürchtet oder erlebt einen sozialen und ökonomischen Rückschritt. Eine unvermeidliche Volksreaktion gegen diesen Trend ist aber zu erwarten. In Frankreich scheint sie sich heute leider nicht als eine fortschrittliche Bewegung zu verwirklichen, sondern als eine nationalistische. Warum?

1- Die "Lepenisierung" der Köpfe und die Rolle der Medien

Konservative Politiker sprechen wie Le Pen, der Premierminister Manuel Valls spricht wie Le Pen:
über Themen wie Immigration oder Sicherheit werden Stil und Dialektik des FN nachgeahmt. Somit sind die Ideen der Familie Le Pen kein Tabu mehr geworden. Dies hat schon 2007 während der Wahlkampagne von Sarkozy begonnen. Fünf Jahre lang hat sich Sarkozy über Immigration mit national-populistischen Thesen geäußert. Heute erlaubt sich sogar der Premierminister Manuel Valls die Roma als "un-integrierbar" zu beschimpfen.

Die Medien spielen bei der Normalisierung der Thesen des FN eine sehr wichtige Rolle: Viele angsteinflößender negativer Titelseiten über Einwanderer sowie viele Titelseiten mit vorteilhaften Bildern von Marine Le Pen sind in etablierten Titeln Gang und Gäbe geworden. Die Redezeit im Fernsehen ist ein guter Indikator dafür, wie die Medien sich parteiisch verhalten: Zum Beispiel wurde in den letzten Monaten bei BFMTV folgenden Zeitanteilen bemessen: FN 43% - PS 18% - UMP 16% - Front de Gauche 9%.

Kurz gesagt: Die Linke hat den Kampf für die kulturelle Hegemonie bis jetzt verloren. Man könnte sich fragen, warum Marine Le Pen von quasi alle Medien unterstützt wird. Die Medieninhaber gehören wie die Politiker zur wirtschaftlichen Elite. Einerseits ist eine linke Reaktion vom Etablishment definitiv mehr zu fürchten als eine nationalistische (die historisch gesehen nie gegen das Kapital ernsthaft in Konflikt trat). Andererseits kann sich die liberale Elite eher vorstellen, bei einem Wahlkampf gegen Rechtsextremisten an die Macht zu bleiben als gegen eine fortschrittliche populäre Bewegung.

2- Die Verantwortlichkeit der Sozialdemokratie

Der "sozialistische" Präsident François Hollande wurde 2012 für eine angekündigte linke Wechselkurspolitik gewählt; Mitunter von den Stimmen der Linksfront (4 Millionen Franzosen). Aber Hollande und die von ihm ernannten Regierungen führen seit dem ersten Anfang seiner Amtszeit eine neo-liberale und unsoziale Politik (Rentenalter Erhöhung bis 65, Liberalisierung der Arbeitsmarkt, Sparmaßnahmen, Erhöhung der Mehrwertsteuer, während Großkonzerne einen Geschenk in Höhe von 30 Milliarden in Form von Steuerentlastung bekommen haben...).

Obwohl er sich immer noch als linker Politiker bezeichnet, übernimmt er die Rhetorik und das Vokabular der Liberalen und kultiviert die Konfusion: Er sagte kürzlich: "ich mache (eine Wirtschaftspolitik) wie Sarkozy aber besser", gleichzeitig aber, bezeichnet er sich als Erbe von Jean Jaures. Viele Menschen sind verwirrt und meinen, zwischen den Rechten und den Linken gebe es eigentlich gar keinen Unterschied. Dies führt zur Desillusion gegenüber der Politik und niedrige Wahlbeteiligung, insbesondere der traditionellen PS Wählerschaft. Als Kollateralschaden dieser Konfusion sind die schlechten Wahlergebnisse der Linksfront sicherlich zum Teil auch zu verstehen.

3- Der Misserfolg der Linksfront

Die Linksfront versucht, diese Desillusion entgegen zu wirken und die Bevölkerung von einer echten linken politischen Alternative zu überzeugen. Dies ist aber bis jetzt nicht - genug - gelungen. Die Strategie dafür ist gescheitert. Oder genauer gesagt, hatte die Linksfront keine klare Strategie. Bei der letzten Kommunalwahl im März hat ein Teil der Front mit den Sozialdemokraten lokale Bündnisse abgeschlossen. So wurde die Linksfront mit der aktuellen Regierung assoziiert und diskreditiert. Der anderen Teil hingegen wollte eine klare Distanzierung zur Sozialdemokratie ist aber gescheitert, als glaubwürdige Alternative mit neuen Bündnissen aufzutreten.

Was kommt jetzt?

Der FN ist seit etwa 10 Jahre von einer ultra-liberalen Wirtschaftspolitik zu einer liberal-kritischen Position gewandert. Umso frischer die Position, umso heftiger wird sie vertreten: Vereinfachte Slogans gegen Brüssel oder den Euro lassen möglicherweise der FN als primäre Opposition zum Liberalismus erscheinen.

Das französische politische System ist nämlich in einer Sackgasse geraten. Seit 2005 und dem von den Abgeordneten ignorierten “Nein” der Franzosen zum europäischen Vertrag sind Nationalversammlung und Demokratie vielen suspekt geworden. Die Skandale (Sarkozy, Woerth, Cahuzac, Copé, Morel...) haben die Würde der republikanische Institutionen geschädigt. Trotz der großen geweckten Hoffnung während der schönen und energievollen Wahlkampagne der Linksfront 2012 ist es ihr bis jetzt leider nicht gelungen, sich als eine erfolgreiche Alternative zu positionieren. Von der Sozial-Demokratie ist kein Linksruck mehr zu erwarten. Die konservative UMP ist mit Skandalen und Korruption am Boden. Also stellt Neues Deutschland möglicherweise doch die richtige Frage: Was, wenn Marine Le Pen die Präsidentschaftswahlen 2017 gewinnt?

Zum Schluss möchten wir uns an Gramsci erinnern: "Ich bin ein Pessimist wegen der Intelligenz, aber ein Optimist wegen des Willens." Wir sind immer da. Wir werden weiter kämpfen, die Linksfront neu erdenken, und nie unsere Heimat in Hände von Faschisten fallen lassen.

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