Freitag, 20. Mai 2011

Behördenmord in einer Außenstelle des Jobcenters Frankfurt?

Vorbemerkung: Der Titel bedarf einer Erklärung. Mord ist es, wenn ein Mensch vorsätzlich durch Gewalteinwirkung getötet wird. Bloß, wie nennt man das strukturell vorgegebene Handeln einer Behörde, die Menschen in die Verzweiflung treibt? Wie nennt man das staatlich gewollte Handeln einer Behörde, die Menschen ihrer Menschenwürde beraubt, in die Verzweiflung treibt bis hinein in den Wahnsinn? Der sich dann durch Selbstmord oder durch Amokhandeln äußert. Amokhandeln, das zum Tode führt, weil vermutlich schlecht ausgestattete und schlecht ausgebildete Polizisten sich nur durch Erschießung zu helfen wissen? Ich benutze hier den Begriff Behördenmord - vielleicht fällt Ihnen aber ein noch besserer ein.

Gestern wurde eine namenlose Deutsche nigerianischer Abstammung /1/ durch Polizistenschüsse (einer oder mehrere?) getötet, kann man der Presse entnehmen. Die Presse schreibt wie immer mit einer Objektivität, die mehr verschweigt als sie Preis gibt. Steckt hier eine Absicht dahinter?

Mir fallen Fragen ein, die ein Qualitätsjournalist, wenn er sich denn so nennen will, beantworten können sollte. Wenn dies nicht möglich ist, muß er wenigstens die von ihm unbeantwortbaren Fragen benennen. Vielleicht ließen sie dann durch andere beantworten. Folgende Fragen müssen aus meiner Sicht dringend geklärt werden:
  • Warum bleibt die Tote in der Presse stets namenlos, auch nicht dergestaltig benannt wie zum Beispiel "Luise K."? Werden anonyme Menschen schneller vergessen? Handelt es sich hier um ein Opfer, das man am besten ganz schnell in der Öffentlichkeit vergißt, damit keine unangenehmen Fragen mehr gestellt werden?

  • Die Außenstelle hat mit schwachen, psychisch schwachen oder erkrankten Menschen zu tun. Wohnungslose und Drogenabhängige sind nicht einfach. Haben die Sachbearbeiter eine angemessene Ausbildung? Sind sie in der Lage zu deeskalieren? Wieso konnten sie nicht der Frage nachgehen, warum die 39jährige so wütend auf das Jobcenter war? Warum konnten die Mitarbeiter dies nicht klären, sondern wollten sie nur rausschmeißen?

    Sind die Mitarbeiter des Jobcenters etwa unfähig? Oder handelt es sich gar um offen ausgelebten Rassismus? Eine ehemalige Leistungsbezieherin erzählte mir gestern noch, daß die Sachbearbeiter rassistisch aufhetzt werden würden. Das ist eine Frage, die auch der Staatsanwalt nachgehen muß, wenn er sich zurecht Staatsanwalt nennen will.

    Die Frankfurter Rundschau /1/ schreibt:
    Lange Zeit läuft die Diskussion mit dem Sachbearbeiter offenbar gesittet ab, dann aber wird die Frau laut, heißt es. Mitarbeiter und andere Kunden des Jobcenters fühlen sich gestört.

    ...

    Die Wachleute fordern die Frau auf, das Gebäude zu verlassen. Die 39-Jährige schreit weiter. Weil sie die Frau nicht selbst vor die Tür setzen dürfen, rufen die Sicherheitsdienstmänner um 8.52 Uhr die Polizei.
    Dem entlarvenden Rundschautext nach scheint es den Außenstelle-Mitarbeitern nur darum zu gehen, einen den Betriebsablauf störenden Menschen möglichst rasch zu entfernen. Der Mensch als reines Objekt?

    Kollege Harald sprach einmal von einer schleichend zunehmenden bürokratischen Faschistisierung unserer Behörden. Für mich bleibt festzuhalten, daß das Jobcenter, in der Rechtsform einer privatwirtschaftlichen GmbH geführt wird. Sparsamkeit ist oberstes Gebot. Wenn man schon keinen Profit macht, dann wenigstens die Kosten so gering wie möglich zu halten; das ist die absolute Devise. Der Mensch verkommt hier richtiggehend zur Ware, zur Massenware. Menschliche Individualität, Menschenwürde? Fehlanzeige. Alles wird der kapitalistischen Verwertungslogik unterzogen.

    Fundiertes Deeskalationstraining gerade der Mitarbeiter in der Jobcenter-Außenstelle: vermutlich absolute Fehlanzeige. Das kostet Geld und paßt nicht in das Konzept der kapitalistischen Verwertungslogik. Begehren Bittsteller auf, so sind sie zu entfernen. Eskalation, statt Deeskalation, das ist systemimmanent.

    Gibt es eigentlich speziell ausgebildete Sozialarbeiter bei der Jobcenter-Außenstelle, um der speziellen Klientel zu helfen? ... So etwas fällt aber nicht in die Zuständigkeit dieser Arbeitslosigkeitsverwahrungsverwaltung. Die marktwirtschaftliche, also marktliberale, neusprech neoliberale Perspektive - wer nichts arbeitet, hat nichts verdient - ist wohl das nicht so geheime Credo, nach der gearbeitet wird. Der Markt, was auch immer das für eine religiös angehauchte Schimäre ist, wird es richten. Sozialarbeit ist unerwünscht, der Markt, das ist statt dessen die Losung und die Lösung.

    Menschen gefährdende Amokläufe sind systemimmanente Kollateralschäden. Das ist menschenunwürdig!
     
  • Kollege Thomas gab mir den Hinweis, daß man doch der Frage nachgehen müsse, warum denn die Polizisten die messerbewaffnete Frau nicht entwaffnet haben. Gab es keine Kampfgrundausbildung nebst Auffrischungen? Zu teuer? Zuwenig Personal als Begründung dafür, um zu entsprechenden Trainingseinheiten abgeordnet werden zu können? Deeskalationschulung der Polizisten? Auch hier: Vermutlich nur Fehlanzeige.

    Warum schoß die Polizistin der 39jährigen zur Gefahrenabwehr nicht in die Beine? Zu beantworten ist hier wegen der dunklen Hautfarbe der 39jährigen außerdem noch die Frage eines möglicherweise vorhandenen (latenten) Rassismus bei den Polizisten?

  • Von der Kleidung der beiden Polizisten sollte man eine der örtlichen Situation angepaßte Bekleidung erwarten. Wie sieht es also mit der Schutzbekleidung der Polizisten aus?

    Auf der Homepage der Deutschen Polizeigewerkschaft /2/ können Sie entnehmen, daß entsprechende Gewaltakte in Jobcenter häufiger vorkommen. Die Außenstelle weist aufgrund der Besucherzusammensetzung ein eher höheres als niedriges Gefahrenpotential auf. Mit systembedingten Amokläufen von Personen, die auch ein Messer bei sich tragen (können), ist zu rechnen. Eine angepaßte Schutzkleidung sollte schon getragen werden.

    Das bedeutet, daß die Frage zwingend gestellt werden muß, ob eine Schutzweste den Polizisten vor dem Messerangriff hätte schützen können? Vorsichtig gefragt, gibt es vielleicht eine nicht ganz so billige Oberkörper-Schutzbekleidung ("Kettenhemd" oder wie die Dinger heißen), die den durch einen Messerstich verletzten Polizisten besser hätte schützen können?

    Falls ja, handeln die Polizisten dann nicht grob fahrlässig, wenn sie sich so gefährden, um zum Beispiel (Polizeireviere neigen zu einer gewissen Laxheit, wenn längere Zeit nichts passiert) bei der warmen Witterung nicht so viel zu schwitzen. Wer als Polizist nicht schwitzen will, nimmt ein höhere Gefährdung billigend in Kauf, oder etwa nicht?

    Ist es nicht so, daß die erforderliche Oberkörperschutzbekleidung - falls vorhanden - hätte leichter sein können, wenn mehr Geld in der Staatskasse wäre. Mehr Geld auch für teurere, aber leichtere Oberkörperschutzbekleidung statt Steuersenkungen für Kapitaleigner? Ein aus neoliberaler Ideologie zusammengeschrumpfter, verhutzelter Staat hat dann wohl kein Geld mehr übrig für tragbarere, also leichtere Schutzbekleidung. Was meinen Sie, wären das zu erkunden nicht die Aufgabe für einen sogenannten Qualitätsjournalisten?

    Auf Demonstrationen tragen die Polizisten teuere Schutzanzüge, die mit immer schädigerenden Handschuhen ausgestattet sind, um mißliebige Demonstranten nicht nur außer Gefecht zu setzen, sondern um diese möglichst stark zu verletzen und zu beschädigen. Hierfür ist heutzutage das nötige Kleingeld da. Um die Demokratie, zu der das Demonstrationsrecht gehört, weiter einzuschränken... Meine erneute Frage nach dem Qualitätsjournalismus, z. B. bei der Frankfurter Rundschau oder dem Spiegel, von Fefe /3/ auch »ehemaliges Hamburger Nachrichtenmagazin« genannt, verkneife ich mir hier lieber.
Für mich gibt es das Fazit, daß man die Strukturen bei der Verantwortlichensuche unbedingt beachten muß. Die Sachbearbeiter und die Polizisten sind Teil eines repressiven, kapitalistischen System, das zu solchen Todesfällen wie dem heutigen führen muß. Immer mehr verzweifelte Menschen, unqualifizierte Sachbearbeiter mit menschenverachtenden Jobs in den Jobcentern, schlecht ausgebildete und vermutlich genauso schlecht ausgerüstete Polizisten vor Ort ergaben gestern einen tödlichen Giftcocktail.

Sicherlich ist die 39jährige Tote als Amokläuferin Täterin. Man sollte das aber aufgrund der Rahmensituation, wie ich sie zuvor beschrieb, wirklich sehr kritisch hinterfragen. Sie ist aber auch Opfer eines vermeidbaren Behördenmordes geworden. Leider ist unser Strafrecht nicht genug fortschrittlich, um die für eine solche Staatskriminalität Verantwortlichen zu Rechenschaft zu ziehen. Recht ist eben auch Herrschaftsrecht, das Herrschaftsrecht der herrschenden Klasse. Anders ausgedrückt, das unvollkommene Strafrecht gehört zum Herrschaftssystem. Folgen Sie bitte nicht den rechten Rattenfängern und fangen an nachzudenken (falls Sie das nicht schon tun).

Ein abschließender Trost für unsere sogenannten Qualitätsjournalisten nebst Staatsanwälten bleibt der Sachverhalt, daß die Wahrheit niemals herauskommen wird, wo wir sie doch im Kern schon kennen! Welcher Jobcenter-Sachbearbeiter ist so stark und wird sich öffentlich selbst beschämen? Das wäre psychischer Selbstmord. Statt dessen baut man sich eher die wehrlose Tote als Monster auf und wertet sie so ab - alles eine Frage des psychischen Selbstschutzes. Die staatsanwaltliche Zeremonie der Mitarbeiterbefragung, die hier zum gesellschaftlichen Vernebelungsritual einfach dazu gehört, wird folglich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die Irre führen.

Ein ehemaliger Wirtschaftsredakteur einer namhaften Wirtschaftszeitung äußerte sich mir gegenüber einmal mit einem Hammerspruch: »Bernhard, weist Du, Journalisten sind Nutten«!

/1/ http://www.fr-online.de/frankfurt/schiesserei-im-jobcenter/-/1472798/8466348/-/index.html
/2/ http://www.dpolg.de/front_content.php?idcatart=1095&lang=1&client=1
/3/ http://de.wikipedia.org/wiki/Fefes_Blog

Mein Dank gilt Thomas, dem Erwerblosentreff Lucky Losers und Harald (Privatmitteilung) für die Anregungen und Informationen.

4 Kommentare:

  1. Hallo,

    ich frage mich auch, warum muss man die Menschen, denen es eh hier so schlecht geht (gesundheitlich - psychisch), gleich erschießen?, kann man die Menschen nicht anders kampfunfähig machen?, es ist nicht der 1. Artikel in den Medien, in dem psychisch kranke Menschen erschossen werden!

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  2. Die wichtigste Frage ist doch, warum Polizisten, die in ein Jobcenter gerufen werden, sich nicht erst einmal ein Bild der Lage verschaffen! Im vorliegenden Fall wäre das naheliegendste ja offenkundig gewesen, den Jobcenter-Mitarbeiter, der die Barauszahlung verweigerte, nach seinem Ausweis zu fragen und ihn dann - ggf. mit vorgehaltener Waffe - zu zwingen, seinen Daseinsvorsorgepflichten nachzukommen. Stattdessen haben sie ja offenbar die Hilfebedürftige nach ihrem Ausweis gefragt. WARUM? Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ja noch gar nichts getan!

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  3. Ganz ehrlich ich finde es empörend das Sie den Polizistin Mord unterstellen. Es ist durch alle Zeugenaussagen belegt,dass Frau Schwindeck die Eskalation ausgelöst hat.

    Warum geht Sie mit einem Messer zum Jobcenter?
    Warum zerstört Sie drei Leben?

    Denken Sie bitte auch mal an den schwerverletzten Polizisten (haben Sie sich bei Ihm entschuldigt)?

    Denken Sie auch mal an die Polizistin, deren Psyche ist zerstört

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  4. @Anonym,

    nichts gegen Sie. Das war der Stand der Dinge vor einem Jahr.

    Sie bekommen noch eine aktuelle Replik. Vorab: Die Rahmensituation hätte nicht so entstehen und sich nicht so entwickeln müssen, wie es geschah. Warum kein Pfefferspray-Einsatz?

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