Donnerstag, 3. Dezember 2009

Im Sumpf

Zum Thema Afghanistan folgen drei Beiträge. Den ersten können Sie jetzt lesen:

Von Frank Benedikt | Auto-Anthropophag, 15. November 2009 (Der Text wurde unter einer CC-Lizenz veröffentlicht)

Nachdem im Dezember wieder einmal die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan zur Diskussion ansteht, oder besser: durchgewinkt werden wird, ist es wohl an der Zeit, sich im Jahre Acht nach der deutschen Beteiligung am ISAF-Einsatz einmal mehr vor Augen zu führen, was „dort hinten am Hindukusch“ eigentlich vor sich geht. Ist dies wirklich ein „Stabilisierungseinsatz“ im Sinne von „Nation Building“ oder erleben wir hier eine klassische Eskalation?

Um diese Frage eventuell beantworten zu können, gilt es, sich die Entwicklung der Lage in Afghanistan in’s Gedächtnis zurückzurufen und auch zumindest ein historisches Lehrbeispiel heranzuziehen. Vor 37 Jahren schrieb Daniel Ellsberg, Träger des „alternativen Nobelpreises“ 2006, der 1971 die „Pentagon Papers“ veröffentlichte und damit wesentlich dazu beitrug, die Hintergründe des US-amerikanischen Engagements in Vietnam, Laos und Kambodscha zu erhellen, ein Buch mit dem Titel „Papers on the war“ [1], in dem er den politischen „Mechanismus einer militärischen Eskalation“ ausführlich beschreibt und die Situation als „Sumpf“ kategorisierte. Das dort beschriebene Schema scheint mehr und mehr auch auf die Situation in Afghanistan zuzutreffen, denn ein Blick auf die „Einsatzseite“ der Bundeswehr und die dortige Chronologie zeichnet die bisherige Entwicklung deutlich nach. Von einem zeitlich begrenzten „Stabilisierungseinsatz“ aus, ist das deutsche Engagement längst hin zu einem „Kampfeinsatz“ eskaliert – auch wenn dies bisher nur verhalten zugegeben wird. Das Wort „Krieg“, das in diesem Zusammenhang bisher aus verschiedenen Gründen sorgsam vermieden wurde, findet langsam Eingang in den Sprachschatz der Verantwortlichen, denn sowohl der neue Verteidigungsminister, wie auch die Kanzlerin, sprechen neuerdings zumindest von „kriegsähnlichen Zuständen“.

„Krieg“ aber darf es nicht sein, denn dann würden, wie hier bereits früher erwähnt wurde, verfassungsrechtliche, versicherungs- und „verkaufstechnische“ Probleme auftauchen, die die Verantwortlichen in nicht unerhebliche Schwierigkeiten bringen dürften. Immerhin hat aber der „Baron der Herzen“ dieser Tage klargestellt, daß die Bundeswehr nicht nur zum Brunnen bauen in Afghanistan ist. Ein Fortschritt?

Nun, daß „wir“, also die Angehörigen der „Western Civilization“, uns – auch ohne unsere Zustimmung – im Krieg befinden, sollte langsam klar sein, ebenso, daß dieser Krieg (wie faktisch jeder) ein ungerechter und illegitimer ist: das Recht auf „Selbstverteidigung“, welches dem transatlantischen Partner im Gefolge von „nine-eleven“ zugebilligt wurde, und auch das ursprüngliche Mandat für eine „Stabilisierungsmission“ ist längst ausgelaufen, wird aber mit penetranter Regelmäßigkeit erneuert.

Daß dieser „Nicht-Krieg“ stetig an Intensität gewinnt, läßt sich schon an der Zahl der eingesetzten Truppen ablesen: Seit 2002 hat diese sich in etwa auf über 100.000 Mann verzehnfacht und weitere Truppenaufstockungen werden nicht nur verlangt, sondern auch gewährt. So wird beispielsweise Deutschland im Januar eine weitere Kompanie entsenden und der verteidigungspolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Ernst-Reinhard Beck, stellt die bisherige Obergrenze des Kontingents von 4.500 Soldaten klar in Frage. Dies ist nicht nur ein Zeichen für wachsende Intensität, – es ist vor allem ein Zeichen dafür, daß der Krieg (den man ja so nicht nennen will) schlecht läuft: Entzogen sich 2007 noch „nur“ 54% des Staatsgebiets der Kontrolle Kabuls, sind es 2009 bereits 72%. Auch deutsche Militärs stimmen mit dieser Beurteilung überein und warnen vor dem Verlust der Initiative, die sie doch längst schon verloren haben.

Beispielhaft dafür sind die Offensiven, die die Alliierten – fast schon quartalsweise – regelmäßig ergreifen, und ein Bericht aus der Süddeutschen vom 10.11. (Nein – nicht 2009, sondern 2003!) vermittelt, wie hilflos letzten Endes die westliche Koalition agiert. Besagter Artikel ist nun sechs Jahre alt und seitdem starben in Afghanistan noch viel mehr Menschen – Soldaten, Widerständler und – vor allem – Zivilisten. Und gerade diese „Kollateralschäden“ sind es, die den Widerstand noch verstärken: Für jeden getöteten Zivilisten entstehen in etwa zwei neue „Taliban“, wie der ISAF-Kommandeur McChrystal kalkuliert. Natürlich sind es nicht nur „Taliban“, aber wen interessieren schon Differenzierungen …

Auch stellt die weitverbreitete Korruption kein geringes Problem dar: sie fängt auf unterster Ebene an und ist anscheinend bis in die Führungsspitze verbreitet, da selbst die Familie des Staatsoberhauptes mit Korruption und Drogenhandel in Verbindung gebracht wird; daß der Westen Schutzgelder an Warlords oder gar Widerständler bezahlt, ist inzwischen ebenfalls ein, als bekannt vorausgesetztes, Faktum. Korruption aber höhlt jedes Staatssystem aus, zumal eines, welches sich noch in Gründung befindet.

Ein anderer Punkt ist der, daß sich Afghanistan wohl nicht so einfach gewaltsam oder durch Oktroyierung eines fremden Systems „befrieden“ läßt, wie seine Geschichte deutlich zeigt, zudem liegt ja die „Wurzel allen Übels“ an anderer Stelle: die Nuklearmacht Pakistan spielt schon lange eine gewichtige Rolle, nur ist sie durch ihren Besitz an Massenvernichtungswaffen für jeden vernünftigen Zeitgenossen „unberühr-“ bzw. „unantastbar“ – zumindest für militärische Operationen. Kobra, übernehmen sie?

Nach bald acht Jahren „kriegsähnlichen Zuständen“ gilt es auch, auf Seiten des Westens eine gewisse Kriegsmüdigkeit zu konstatieren – zwar sind gerade die Deutschen, trotz des mörderischen Luftangriffs bei Kundus, nicht friedenswilliger geworden, sondern haben ihre Ablehnung dieses Krieges von ca. 70% auf nur noch etwa 57% reduziert, dafür aber steigt der Widerstand bei Amerikanern und Briten. Der Independent hält zudem fest, daß inzwischen rund 44% der Afghanis für eine Reduzierung der ausländischen Truppen sind, während nur 18% für eine Verstärkung votieren.

Es mehren sich jedoch auch die Stimmen aus dem vormaligen – und ebenfalls aus dem heutigen – Regierungslager, die eine „Exit-Strategie“ fordern, die ja auch US-Präsident Obama zunehmend in’s Auge zu fassen scheint. Dabei tut sich besonders die CSU hervor, die einem Anfall von Schizophrenie erlegen scheint – der Verteidigungsminister, der von dieser Partei gestellt wird, stellt zunächst einmal weitere Truppen, während von Teilen der Partei mit zunehmendem Nachdruck eine Ausstiegsstrategie angestrebt wird. Ist die CSU etwa intelligenter oder gar menschlicher als Otto Durchschnittsparlamentarier (Die Linke, die ein klares Bekenntnis hat, mal ausgenommen)? Der Chronist weiß es nicht zu beurteilen, sondern hält diesen ganzen „Nicht-Krieg“ für eine jämmerliche Lüge, die viele Menschen das Leben kostet.

Und um nun wieder den Bogen zu Ellsberg zu schlagen: Er schreibt über seine Entwicklung, daß er das US-Engagement in Vietnam zunächst als „Problem“, dann als „Sackgasse“ und letztlich als „Verbrechen ansah – eine sehr mutige und durchdachte Entwicklung, wie ich finde. Wenn auch der Begriff des „Sumpfes“ zuerst wohl von Arthur Schlesinger Jr. verwendet und geprägt wurde, hat Ellsberg doch seinen Anteil an dessen Verbreitung. Der Mann, den man auch schon den „Most dangerous man in America“ nannte, ist demnächst auch im Rahmen des One World Berlin Filmfestivals im Kino zu sehen und der Autor ist der Ansicht, daß sich das wirklich lohnen könnte. Ein Mensch, der sich ändern kann, kann auch die Welt verändern …

[fb]

[1] Daniel Ellsberg, Ich erkläre den Krieg, Carl Hanser Verlag, München 1973

1 Kommentar:

  1. DREI Beiträge? Den dritten muß ich doch erst noch nächste Woche schreiben, mein Lieber ;-)

    Herzliche Grüße
    Frank

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